Theoretische Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Raum in der Street Photography.
betreut von Prof. Dr. Carolin Höfler.
Einleitung
Eine zufriedenstellende Definition der Street Photography gibt es bis heute
nicht, doch lässt sie sich bis zu den Anfängen der Fotografie selbst zurück
verfolgen. Seit es sie gibt, hat sich das Verständnis des Begriffes Street Photography stetig gewandelt. Zur Zeit des berühmten amerikanischen FotografenWalker Evans (1930er und 1940er Jahre) verstand man unter Straßenfotografie noch immer eine Beschäftigung, die darin bestand, Fremde und Tourist:innen gegen Bezahlung vor Sehenswürdigkeiten und Ferienattraktionen zu porträtieren.01 Die Profession ging demzufolge über die reine Schaffung von Souvenirs nicht hinaus. In diesem Zusammenhang beschreibt der Begriff Straßenfotografie einen weit weniger komplexen Prozess, als man ihn aus heutiger Sicht beurteilen würde. Um genau diese Abgrenzung geltend zu machen, werde ich im Folgenden den Begriff Street Photography dem der Straßenfotografie vorziehen.
Die Definitionsproblematik ergibt sich daraus, dass die Street Photography keine Fotografien hervorbringt, die sich leicht kategorisieren lassen, ihr Angebot ist schlicht zu facettenreich. Dem Großteil der Street Photographs ist gemein, dass sie in öffentlichem, urbanem Umfeld entstehen. Dabei ist das Thema nicht die Stadt oder ihre Architektur, sondern der Mensch, ob in persona oder in Form der Spuren, die er hinterlässt. Die Begebenheiten, die die Street Photography thematisiert, sind nicht gestellt, sondern entstehen aus dem everyday life heraus.
Vor dem Hintergrund der darin dargestellten Lebenswirklichkeiten ergibt sich die Frage nach der Authentizität der Street Photography: Inwieweit kann ein Street Photograph überhaupt authentisch Situationen darstellen und dadurch eine Aussage über gesellschaftliche Wirklichkeiten treffen? Die Bedeutungssteigerung, die die Street Photography in den letzten Jahrzehnten verzeichnen kann, ist durch die wesentlichen gesellschaftlichen und urbanen Transformationsprozesse begründet. Gerade weil die Fotograf:innen in ihrer Arbeit in den Straßen weitgehend das everyday life dokumentieren und interpretieren, konstruieren sie bewusst oder unbewusst Bilder der Gesellschaft.
Die vorliegende Arbeit soll genau diesen sozialdokumentarischen Wert der Street Photography als Konstruktion gesellschaftlicher Realitäten erläutern und infrage stellen. Dabei bezieht sie sich konkret auf die Interaktion der Bewohner:innen und ihre Bewegung im städtischen Raum. Untersucht werden soll des Weiteren, inwieweit gesellschaftliche Verhältnisse in den Bildern für die Betrachter:innen des Street Photographs spürbar werden und auf welche Weise die Fotografin oder der Fotograf diese intentional inszenieren kann, um eine bestimmte Wirkung der Bilder zu erzeugen. […]
01 Sophie Howarth/Stephen McLaren (Hg.): Street Photography Now, London: Thames&Hudson Ltd. 2010, S. 9.